BikeRomania
Rumänien per Rad entdecken

Zweiter Angriff auf den Muntele Mic

Mit Geländebikes durch die Karpaten

Von Thomas Froitzheim

 
Serpentine um Serpentine schraube ich mich langsam die steinige Naturstraße hinauf. Ich bin alleine in den Karpaten, irgendwo zwischen tausend und zweitausend Meter hoch, inmitten einer riesigen bewaldeten Wildnis, in Schweiß gebadet. Eigentlich sollte man diese Strecken nur zu dritt wagen, doch der Berg rief...  
 
Gestern abend bastelten wir noch bis tief in der Nacht an unseren Motorrädern. An der betagten Honda-Enduro wird ein neuer Vorderrad-Bremszug improvisiert. Nippel eingelötet, Kette gespannt, Ölstand kontrolliert. Neben mir, die Finger im Öl, der Bürgermeister des Ortes. Zaharia Mustetea ist begeisterter Enduro-Fahrer, und strahlt mich aus seinen großen schwarzbraunen Augen an. Er freut sich, morgen mit mir zusammen die höchsten Berge der Region in Angriff zu nehmen. Schwieriges Gelände, doch es locken eine Menge Punkte.  
 
Am nächsten Morgen strahlt uns der blaue Himmel an. Auch unsere Enduro-Kameraden, die wie wir das schmackhafte Frühstück von Zaharias Frau genießen, fiebern schon dem Aufbruch entgegen. Zaharia hat sich auf den kommenden Tourismus in seiner Region eingestellt und in seinem Dorfbauernhof drei Zimmer mit Dusche und Bad eingerichtet, eine Pioniertat im kleinen Dorf Borlova. Besonders die herzliche Atmosphäre hat es den Motorradfahrern angetan.  
 
Ein wenig Proviant und eine dicke Jacke für zweitausend Meter Höhe in den Rucksack, dann der Tritt auf den Kickstarter. Unsere Enduros blubbern durch das langgezogene Dorf´. Selten habe ich so viele Tiere auf der Straße gesehen, doch das ist hier Normalfall. Gänsehorden watscheln langsam über die breite Fahrbahn, die in diesen Dörfern eher einem mannigfaltigen Weidegrund ähnelt, und weichen ärgerlich schnatternd den Eindringlingen. Kühe traben uns gemächlich entgegen. Schweine wühlen den losen Grund auf. Wohin die Hühner flitzen, weiß man nie so genau, und man möchte sie schließlich nicht zwischen den Speichen haben. Nachtfahrten sollten hier wirklich vermieden werden, denn dieser Zoo ist nicht nur tagsüber unterwegs.  

Nichts für Warmduscher

Kinder grüßen uns, und wir winken zurück. Sie sind schon gespannt, welche Motorräder heute wieder durch ihr Dorf rollen werden, denn es ist wieder EnduRoMania. Zum vierten Mal in diesem Jahr hat Sergio Morariu, Wasserbauingenieur, Wirtschaftsförderer und Endurofreak, zu dieser einzigartig touristisch-sportlichen Enduro-Wanderung nach West Rumänien eingeladen, und diesmal sind 137 begeisterte "EnduRoManiacs" seinem Aufruf gefolgt. Es gilt, in vier Tagen bis zu 40 Kontrollstellen in einem 40.000 Quadratkilometer großen Gebiet anzufahren, einen Stempel zu holen und damit Punkte zu sammeln, die je nach Schwierigkeitsgrad des Zieles differenziert sind. Und die Herausforderungen sind groß. Endlose Schotterpisten in jeder Variation, ausgewaschene Hohlwege mit tiefen Rinnen, lehmige Hänge, die sich nach Regengüssen in unbefahrbare Schmierseifen-Pisten verwandeln, Flußdurchfahrten durch reißende Gebirgsbäche bis hin zu felsigen Auffahrten auf kopfgroßen Steinen in alpine Höhen. "Nichts für Warmduscher" meinten meine Hannoveraner Kollegen gestern abend in gewohnt trockener Enduristen-Sprache, obwohl auch sie nach den schweißtreibenden Ausritten immer wieder gerne den Komfort des Basislagers beim Bürgermeister genießen. Zu den anstrengenden Strecken kommt die schwierige Orientierung, denn exakte Karten oder ein ausführliches Roadbook gibt es nicht. Ein wenig Verfahren gehört einfach dazu, was angesichts der weiten Wildnis und der undurchsichtigen Wälder auch immer wieder etwas Magengrummeln erzeugt. "Macht ein wenig Discovery", schmunzelt der Organisator Sergio, denn für das Entdecken und Dokumentieren neuer Enduro-Wege rechnet er weitere Punkte an. Der passionierte Motorradfahrer hat auch ein Herz für die Umwelt, denn er ruft seine Teilnehmer dazu auf, Umweltschäden zu melden, wofür es zusätzliche Punkte gibt.  

Respekt vor rumänischer Fahrkunst

" Wollen wir den schwierigen oder den einfachen Weg nehmen?" Auf diese Frage meines Begleiters habe ich inzwischen nur eine Antwort. "Den leichteren". Denn in den vergangenen Tagen mußte ich immer wieder erfahren, welchen Wege unsere rumänischen Kollegen bewältigen. Wo wir über groben Schotter fluchten, meinten unsere Freunde kurz: "Autobahn". Und sie hatten recht, denn es wurde immer mal noch ein wenig steiler und steiniger. Während die betuchten Euro-Wessis hochentwickelte Geräte bevorzugen, wie zum Beispiel KTM LC4, Honda XR 600, Yamaha XT 600, Suzuki DR 350, bis hin zu schweren Teneres, Africa Twins oder 1100er BMWs, begnügen sie sich mit weitaus geringerer Technik und schrecken auch nicht davor zurück, mit 80ern den Berg zu bezwingen. Wenn sich die dicken Boliden noch durch tiefe Bodenfurchen quälen, haben die rumänischen Kollegen nicht selten schon die Maschine auf der Höhe abgestellt und helfen ihren deutschen Kollegen aus dem Matsch. Gemischte Teams sind nichts seltenes bei der EnduRoMania, und schon manche Freundschaft soll sich hier entwickelt haben.
Dann reißt mir der Bremszug. Gerade einmal zwölf Kilometer liegen hinter uns. Reparaturversuche nutzen nichts, und mein Fluchen versteht auch mein rumänischer Begleiter. Der Bürgermeister bietet mir im Tausch seine XL 500 an, doch ich winke ab. Lieber no risk als no return. Wir kehren um. Doch nur zu einem zweiten Anlauf, denn ich habe mir geschworen, heute den 1800 m hohen Muntele Mic zu bezwingen. Schließlich wartet im Basislager mein wahres Fahrgerät, auf nur 1,75 Zoll breiter Mischbereifung - mein Mountainbike. Denn mein eigentliches Anliegen ist es, die EnduRoMania auf ihre Eignung als Mountainbike-Event zu testen. Seit diesem Jahr können auch die motorlosen Bikes teilnehmen, und ihre Fahrer haben bereits beachtliche Strecken bewältigt.
Es ist inzwischen Mittag. Doch ich will diese Etappe versuchen, auch wenn ich sie alleine bewältigen muß, denn meinen Kollegen muß ich im Basislager zurücklassen. Wieder nehme ich die herrliche Talstraße, wieder begegne ich der Schafherde, weiche den kläffenden Hunden aus und grüße die verdutzten Schäfer mit einem guten Tag: "Buna Ziua!". Der Atem wird schneller, schließlich muß ich jetzt selbst treten. Ich genieße die frische Waldluft und die wunderbaren Blicke ins Tal. Statt kühle Zugluft ertragen zu müssen, erwärme ich mich nun selbst, und spüre die warme Sonne auf meiner Haut, die nicht in Schutzkleidung zu stecken braucht. Kein Motorengeräusch stört die Stille, und bald bin ich mit dem Wald allein. Ich genieße es, das Motorrad mit dem Mountainbike getauscht zu haben, denn diese Art der Fortbewegung bringt mich der Natur noch ein Stück näher. Doch sie fordert auch ihren Tribut, und nicht zu knapp. Beißender Schweiß rinnt mir in die Augen. Loser Schotter zwingt mich zum Absteigen, aber nur für wenige Meter. Keine Federung schluckt die steinigen Stöße, und ich muß mich jeden Meter selbsttätig hinaufwuchten. Ausdauer ist angesagt. Nach 20 Kilometern und eindreiviertel Stunden Fahrt stehe ich am ersten Zielpunkt meiner Fahrt, schweißgebadet und trofpnaß, aber glücklich.
 

Getriebe-Gau am Berg

Unter mir liegen die dichtbewaldeten Rücken der Mittelgebirge, vor mir das steinerne Massiv des Tarcu mit seinen knapp 2200 Metern Gipfelhöhe und seinen nackten grauen Flanken. Ich erschrecke ein wenig vor meiner eigenen Courage. In Wirklichkeit sehen die Berge massiver und gewaltiger aus als auf der Karte. Nach diesem kräftezehrenden Anstieg liegen noch einmal knapp tausend Höhenmeter vor mir, um den Tarcu-Gipfel zu erreichen. Eigentlich müßte hier eine Hütte stehen. Doch die Karte stimmt mal wieder nicht und ich wende mich in die Richtung, wo ich die nächste Kontrollstelle vermute, die Wetterstation des Cuntu, am Fuß des Tarcu. Auf den nächsten fünf Kilometern habe ich das Gefühl, meine letzten Kraftreserven aufzubrauchen. Mehrfach steige ich ab und schiebe mein Rad keuchend über die steilsten Waldwege der Welt, grober Schotter läßt mich keinen festen Tritt fassen. Breit steht das Wasser in matschigen Senken. Absteigen, aufsteigen. Wie lange noch? Eine Lichtung erscheint, mein Blick erfaßt einen kleinen Gipfelmast. Doch die Freude ist nur von kurzer Dauer, denn weit und breit ist keine Wetterstation zu sehen. Es wird kalt. Weiter, wieder irgendwo in den Wald hinein, der eigentlich schon längst hätte aufhören müssen. Treten, absteigen, fluchen, aufsteigen, Atem holen. Ich bewundere meine Enduro-Kollegen, die dies mit ihren schweren Maschinen bewältigen müssen. Ein Müsliriegel gibt mir Hoffnung auf Kraft. Ich rolle aus dem Wald hinaus, mein Blick erfaßt die Wetterstation. Ich atme auf, doch das Erleichterungsgefühl wird leider von einem häßlichen Kettengeräusch gestört. Freilauf blockiert, Getriebe-Gau des Fahrrades. Und das hier mitten in den Bergen. Mist! Ich schiebe zur Wetterstation, hole mir erstmal meinen Stempel und versuche, dem Betreiber zu erklären, daß ich ein großes mechanisches Problem habe. Ich kann kein Rumänisch, er keine andere Sprache. Er beweist wieder einmal die rumänische Hilfsbereitschaft und wirft sich mit mir ins Öl. Nach einer Stunde gemeinsamen Tüftelns ohne gemeinsame Sprache haben wir das Rad wieder flott, denn zum Glück habe ich eine Ersatz-Sperrklinke dabei. Da Radfahrer im Gegensatz zu den immer wieder ankommenden Motorradfahrern offensichtlich sehr bedürftig ausschauen, tischt die nette Ehefrau noch eine komplette Mahlzeit auf. Suppe, Fritten und Fleisch schmecken hervorragend, und mit einer Tasse Blaubeeren als Nachtisch ist der Genuß komplett. Nein, ich solle nichts zahlen, ich sei eingeladen.  

Der erste deutsche Mountainbiker auf dem Cuntu

Zum Glück spricht die Frau etwas französisch, und so können wir uns ein wenig unterhalten. Sie versichert mir, daß ich der erste deutsche Mountainbiker auf dem Cuntu bin. Ich finde das toll, denn üblicherweise war immer schon jemand vor mir da. Aber in Rumänien gibt es für uns Mountainbiker eben noch viel zu entdecken. Die Cuntu-Hütte hat übrigens mehrere Betten und kann auch von Gruppen gemietet werden. Dieses Angebot empfehle ich umgehend den "Affn" weiter, einer EnduRoManiac-Gruppe aus Kronach, die gerade mit ihren Maschinen eintrudeln und noch ein Nachtlager suchen. Nach zwei Stunden bei diesen netten Leuten muß ich mich wieder auf den Weg machen. Es ist 17 Uhr, und die Zeit reicht gerade noch, um den Nachbargipfel, den 1800 Meter hohen Muntele Mic zu erreichen, noch einen weiteren Stempel zu ergattern. Aus der gemütlichen Abfahrt wird aber leider nichts, da ich diesmal die kurze, aber schwierige Rückweg-Variante wähle und acht Kilometer lang über steile, lose Geröllwege hinunterhoppeln muß, die mir Mark und Bein zerrütteln, heiße Felgen und krampfige Bremsfinger bescheren. Ich schwöre mir: das nächste Mal nur mit voll gefedertem Mountainbike. Zurück im Basislager, weicht die Erschöpfung dem Stolz über die geschaffte Etappe. Bürgermeisters Bier ist jetzt mein Benzin, und schmeckt umso prächtiger.
Bei der Siegerehrung kann ich eine Motorradfahrer-Medaille für das beste Mountainbike-Team entgegennehmen. Rumänien hat mich voll begeistert. Zum Enduro-Paradies hat sich ein Mountainbike-Himmel gesellt. Sergio, ich komme wieder.
 
 
Thomas Froitzheim  

EnduRoMania - einzigartig in Europa

Selbstverständlich hat auch diese Veranstaltung ihre engagierte Seele. Der Wasserbauer Dr.-Ing. Sergio Morariu stammt aus Rumänien und kam in Peru erst im Alter von 33 Jahren zum Endurofahren. Zurück in Rumänien, organisierte er 1995 die erste EnduRoMania, die nach Teilnehmermeinung "am wenigsten sportliche und am wenigsten reglementierte" Enduro-Veranstaltung Europas. Inzwischen findet die EnduRoMania viermal im Jahr statt. In der Teilnahmegebühr von DM 190,- sind Visum, Kartenmaterial, Wegbeschreibungen, und weitere Informationen enthalten. Ärztliche Versorgung ist organisiert.  
 
Das Erfolgsrezept der EnduRoMania liegt in der Freiheit des Gebietes und der Zwanglosigkeit der Veranstaltung. Die Teilnehmer sind begeistert. Weil Fahrverbote fehlen, ist Rumänien ein "Paradies für paragraphengebeutelte Endurofahrer", so Steffen Ahlbrecht, Forstwirt aus Hannover. Sibylle aus Mähringen, 43, hat Mann und Kind daheim gelassen und ist mit ihrer BMW R 80 GS Basic unterwegs. Sie findet es "einfach super" und fügt hinzu: "Hier kann man den Förster fragen, und er zeigt einem den Weg. In Deutschland steht er mit der Schrotflinte da." Ines, 30, aus Karlsruhe, möchte mit ihrer BMW R 100 GS noch zwei Wochen alleine durchs Land reisen und fühlt sich keineswegs unsicher: "Als Frau wird man hier akzeptiert und nicht angestarrt. Das ist das Gute an der sozialistischen Vergangenheit." Auch die Profis zollen Respekt. Andreas Staudt, Zweiradmechanikermeister aus Mainaschaff, ist zum fünften Mal dabei. Ihn lockt das große Gebiet, die Freiheit der Herausforderungen, und er findet das EnduRoMania-Konzept inzwischen weitgehend ausgereift. Und auch Vertreter der Reifenbranche sind vertreten. Jan Buss vom Zentralen Kundendienst der Continental GmbH tauscht sich selbstverständlich mit seinen Kollegen über die Reifenpraxis aus. Fazit: hier sind Reifen mit hoher Abriebfestigkeit und hohem negativen Profilanteil gefragt. Sein Kommentar zur Veranstaltung ist so knapp wie sein Vorname: "Top!". Der Gewinner der EnduRoMania 98 ist ebenfalls ein Wiederholungstäter. Jörg Barthel, Hotelier im brandenburgischen Jüterbog, plante seine fünfte EnduRoMania generalstabsmäßig und holte mit seinem Partner Arco Neumann (DJMV-Vizemeister Nord im MotoCross) mit Abstand die meisten Punkte herein, fast 40.000. Der Aufwand hierfür: 1600 Enduro-Kilometer in vier Tagen. Diese Hetzjagd war laut Neumann "anstrengender als erwartet". Und so gehen es die meisten EnduRoManiacs auch gelassener an, sind von der landschaftlichen Schönheit des Landes und der Freundlichkeit der Menschen begeistert. Sergio Morariu setzt mit der EnduoMania touristische Entwicklungsimpulse und entwickelte unter anderem ein Netzwerk an Übernachtungsmöglichkeiten mit europäischem Standard und dennoch niedrigen Preisen. Frank Markus, 28, aus Mainz und erstmals dabei, bringt den touristischen Erfolg des Konzeptes auf den Punkt: "Seit dieser Woche ist Rumänien für mich eine ernsthafte Alternative zu meinen bisherigen Urlaubszielen". Informationen zur EnduRoMania gibt es im Internet unter www.ccctm.ro/enduro, Email [email protected]. Fax-Nr. 0040-56-194596; Telefon 0040-56-194131. Mobilphone 094-841015. Adresse: Dr.-Ing. Sergio Morariu,Str. Lucian Blaga 3, 1900 Timisoara, Romania.

Das Reifenzitat zur EnduRoMania (aus einem Teilnehmerbericht von Christopher Stegmann aus Laufach):

"Für eine mit Schafscheiße getränkte Wiese muß noch ein Barum Shit King oder ein Michelin Shepherd entwickelt werden"  
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